Dienstag, 5. Februar 2013

Drei im Wilden Westen

Drei im Wilden Westen

Am Freitag nach Arbeit und Skilaufen auf mehligem Schnee ging es los. Das Auto war vollgepackt mit Ski für Thomas' Wettkampf in Ketchum, Sun Valley, und Karlas Notwendigkeiten und meinen Wenigkeiten. Um 3 Uhr verließen wir die Stadt gen Hagerman, wo meine Cousine Evelyn und ihr Mann Joe uns schon erwarteten. Karla schlief zwar auf den 4 Stunden Fahrt nicht, aber hielt auch ganz gut durch. Das lag natürlich unter anderem an unserer Bespaßung durch Essen und Musik sowie eine kurze Pause wortwörtlich im Nirgendwo.

„In the Middle of Nowhere“ hieß die Tankstelle, an der die Alpacas Zuni und Sam grasten und der Tankstellenbesitzer ein ganz ein lustiger Kerl mit einer Vorliebe für den Wilden Westen sein musste. Man beachte den durchaus patentreifen Schließmechanismus der Toilettentür bzw. Outhouse-Tür. Karla nahm schon einmal am Steuer Platz und überraschte uns im Laden mit ihrem 4. oder 5. Wort auf Englisch: Cooky! War klar, oder?! Statt Keksen gab es dann Käse und Brot. Und nach einem Blümchenkaffee ging es unter einem farbenfrohen Abendhimmel weiter über den Klapperschlangenpass gen Sandsturmgebiet Idaho. Um 7 waren wir endlich da und Evelyn und Joe erwarteten uns bereits mit einem opulenten Abendessen mit eigenem Rinderfleisch, Nudeln und selbstgemachten Humus (der aus Kichererbsen!) und Pesto. Karla war erst noch ganz aufgedreht, fand aber dann schnell ins Reisebett.

Drei im Wilden Westen
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Herr Rossi sucht sein Glück

Am nächsten Morgen war Thomas bereits um 5 Uhr aufgestanden, um als frischgebackenes Mitglied des US-Rossignol Teams bei dichtem Nebel nach Ketchum (Sun Valley) bzw. zum Start der Boulder Mountain Tour zu fahren. Den Rest der Geschichte erzählt er euch selbst:

Ich dachte, es sollte mein Tag werden: Ein 32 km Skating-Rennen mit einem Höhenunterschied von über 300m zwischen Start (oben) und Ziel (unten). Ein Downhill-Rennen also. Doch irgendwie war es dann doch nicht ganz mein Tag. Es ging schon damit los, dass mein morgendlicher Kaffee nur die halbe Koffeinmenge hatte und ich auf stockdunkler Straße und bei Nebel und einem Highway, auf dem alle 5 Meilen mal eine Kurve kommt, im Auto fast wieder einschlafen wollte. Dies führte mir mal wieder zum einen die Ausdehnung und Verlassenheit mancher Gegenden der USA vor Augen; zum anderen meine Koffeinabhängigkeit. Irgendwo zwischen Shoshone (sprich: schoschoni) und Ketchum erblickte ich eine Tankstelle, wo ich mir noch schnell einen Becher Kaffee (diesmal mit normal Koffein) und einen Muffin holte. Als ich dann endlich in Ketchum ankam und mein Auto auf dem Parkplatz der Hemingway Elementary School stationiert hatte, hatte der Kaffee seine volle harntreibende Wirkung entfaltet. Büsche oder Bäume waren nicht in Sicht. Die Elementary School war leider geschlossen. Und nachdem ich 10 min durch Ketchum gerannt war, um festzustellen, dass die nächstgelegene Tanke nur einen Restroom für Angestellte hatte, musste ich mit Blick auf die Uhr meine Notdurftverrichtung auf später verschieben und stieg in einen der Shuttle-Busse, die die Teilnehmer zum Start bei Galena brachten (ca. 2400 m Höhe). Auf dem Weg dorthin wurden wir mit schottisch klingender Volksmusik beschallt und bei jedem Schlagloch meldete sich meine Blase. Aber das Wetter war schön, und dass sich Hemingway in Ketchum umgebracht hat, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Nach 30 min Fahrt entstieg ich dem Bus und war froh die Toilettenhäuschen zu sehen (hier manchmal auch liebevoll honey bucket, also Honigeimer, genannt). Gleich danach traf ich Paul, von dem ich einen neuen Rennanzug und eine Weste bekam. Meine Taktik war klar: Ich musste irgendwie auf den ersten 10 km an der Spitze dran bleiben, um dann auf der zweiten, abschüssigen Hälfte des Rennens meine Schwungmasse auszuspielen. Diese Taktik ging auch bis Kilometer 8 auf, doch irgendein Idiot musste die Berge immer hochsprinten und alle anderen hinterher. Dass der Laktatabbau bei wenig Sauerstoff verzögert ist, konnte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch ignorieren, aber dann hieß es leider Abschied nehmen von der ersten großen Gruppe. Die zweite Hälfte verlief dann sehr geschmeidig und ich konnte sogar mal kurz die Landschaft genießen. Nächstes Jahr bin ich wieder dabei und werde meine Streckenkenntnis ausspielen! ;-)

Im Bus zum Parkplatz traf Thomas übrigens nach dem Rennen noch einen Teilnehmer, der mal Nordisch Kombinierter war, also Skisprung und Langlauf zusammen betrieben hat. Der erzählte ihm, dass er schon einige Male in Thomas' Heimatort Klingenthal zu Training und Wettkämpfen war. Ist die Welt nicht klein?

Hier ist noch ein Video der Führungsgruppe gegen Ende des Wettkampfs, als Thomas leider nicht mehr mit dran war:

Drei im Wilden Westen

Zurück bei Ziege, Pferd und Huhn

Währenddessen schliefen Karla und ich bis 7:30 aus. Ach, war das schön. Das macht Karla jetzt an den Wochenenden meistens. Evelyn hatte uns French Toast (Französischen Toast) gemacht. Das ist Toast in einer großzügigen Rühreimischung gebraten. Ich glaube, in Frankreich würde das keiner essen, aber es ist lecker. Darauf strichen wir Marmelade von von Evelyn selbst gesammelten Blaubeeren und Apple und Peach Butter (auch wie Marmelade) von Früchten aus ihrem Garten. Dann ging es raus an die sehr frische Luft zum Tiere füttern. Zuerst waren die Ziegen an der Reihe. Karla wollte erst nicht mit ins Gehege kommen und ich musste sie auf den Arm nehmen. Doch so nach ein paar Minuten traute sie sich auf den Boden, blieb aber immer schön an meiner Hand. Was verständlich ist, denn die Fleischziegen sind größer als Karla, haben Hörner und machen laute Geräusche. Außerdem können sie einen schon einmal rüde anrempeln, vor allem wenn es ums Essen geht. Wir durften beim Böcke impfen zusehen und ein wenig assistieren. Joe und Evelyn hatten sie in einem kleinen Pferch zusammengetrieben, bis auf 2, die sich nicht einfangen ließen. Hütehund Pete war nun damit beschäftigt, die beiden in dem Vorgehege zum Pferch zusammenzuhalten. In dem Gehege standen auch wir. Daher musste der arme Pete sie nun nicht nur zusammenhalten, sondern auch noch dafür sorgen, dass sie uns nicht zu nahe kamen. Glücklicherweise hatten sie aber sowieso mehr Interesse an dem frischen Gras, denn an uns. Als es dann an die Pediküre der armen Viecher ging, wurde Karla langsam müde und wir verzogen uns nach drinnen für ein frühes Mittagessen. Karla schlief ohne Proteste allein ein und wachte wie fast immer nach einer Stunde wieder auf. Dann ging es raus zur Feuerstelle und zum Zelt. Zelte fand Karla schon immer faszinierend und sie zog gleich die Schuhe aus und wollte gar nicht mehr heraus. Ihre ersten Schritte machte sie aus einem Zelt heraus, mit etwa 11 Monaten. Pferde und Hühner findet Karla dagegen nicht so spannend und ein bisschen angsteinflößend.

Drei im Wilden Westen
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Von Fossilien und anderen Überbleibseln

Am Nachmittag war dann der geschaffte und etwas enttäuschte Thomas wieder da (nur 34. von über 700 Teilnehmern, 6 Minuten hinter dem Sieger). Es gab erst einmal wieder etwas zu essen und dann fuhren wir zu fünft zu den Fossilienfundstellen des Hagerman-Wildpferdes gleich im die Ecke und zu den Überresten des Oregon-Trails. Die 200 dort geborgenen Skelette dieses Pferdes sollen etwa vier Millionen Jahre alt sein. Dabei handelt es sich um eine ausgestorbene Gattung, das Plesippus shoshonensis, bzw. ein Urpferd, das nun auch Wappenfossil Idahos ist. Der Oregon-Trail ist der Weg, den die Siedler Mitte des 19. Jahrhunderts von Osten nach Westen wanderten, auf der Suche nach Glück und einem besseren Leben. 3.500 Kilometer, für manche war der Weg auch 8.000 Kilometer lang, je nachdem, woher man kam und wohin man ging. Insgesamt sollen zwischen 1834 und 1860 rund 300.000 Menschen darauf unterwegs gewesen sein. Zu Fuß, mit Wagen, Pferden, Vieh, Kindern - quasi allem Hab und Gut... Mit wie viel davon sie ankamen, wenn sie ankamen, kann man nur erahnen. Sie "reisten" bei Wind und Wetter. Wenn sie Pech hatten, holte der Winter sie ein oder die Hitze des Sommers quälte sie in den Wüsten Utahs und Idahos. Und dann gab es ja noch Indianer und sonstige Banditen... Der Boden in Idaho ist so weich, dass man noch heute sehen kann, wo sich die Wagentreks entlang gequält haben. Unglaublich, sich das vorzustellen. Noch unglaublicher: Gleich daran schließt sich eine asphaltierte Straße an, die in ihrer Trägheit die Missgeschicke der Pioniere durch Umwegsamkeiten zu verhöhnen scheint. Wer mehr erfahren will, kann hier nachlesen:

Drei im Wilden Westen
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Der Oregon Trail. Auf dem von mir aufgenommenen Foto oben sieht man noch die Wagenspuren, die in die heutige Straße übergehen.
Der Oregon Trail. Auf dem von mir aufgenommenen Foto oben sieht man noch die Wagenspuren, die in die heutige Straße übergehen.

Der Oregon Trail. Auf dem von mir aufgenommenen Foto oben sieht man noch die Wagenspuren, die in die heutige Straße übergehen.

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Drei im Wilden Westen

Phil, das Waldmurmeltier

Außerdem war Groundhog Day. Dabei steht ein kleines Waldmurmeltier namens Phil im Rampenlicht, das am Tag von Mariä Lichtmess aus seinem Erdloch hervorlugt, um dann entweder den Frühling zu verkünden oder weitere 6 Wochen Winter, sollte er durch seinen eigenen Schatten verschreckt wieder in die Höhle zurückkriechen. Dieser Brauch geht wohl auf deutsche Einwanderer zurück, die sich in Pennsylvania angesiedelt hatten. Demzufolge ist der Winter für dieses Jahr zu Ende. Wir hoffen, aber dass Phil sich irrt. Seine und die Trefferquote seiner Vorgänger-Vorherseher liegt bei 37 %... Wir können also hoffen.

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Geschichten am Lagerfeuer

Am Abend entfachte Joe an der Feuerstelle auf der Ranch ein Lagerfeuer und wir hielten auf Stücken aufgespießte Marshmallows ins Feuer. Diese schmeckten wie warme Zuckerwatte – sehr lecker, auch wenn man kein Zuckerwatte-Fan ist. Sie bestehen auch fast nur aus Zucker. Ursprünglich allerdings war die Grundzutat das Sekret einer malvenartigen Pflanze, dem Eibisch. Und sie diente auch nicht dem Genuss, sondern medizinischen Zwecken, wird Eibisch doch eine entzündungshemmende und immunstabilisierende Wirkung nachgesagt, besonders im Mund- und Rachenraum sowie in Magen und Darm. Erst die Franzosen kamen auf die Idee Marshmallows unter einem anderen Namen natürlich in ihre „Cuisine“ einzuführen. Ich muss gestehen, ein geröstetes Marshmallow hat auch nicht wenig Ähnlichkeit mit dem Michelin-Männchen.

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Drei im Wilden Westen
Drei im Wilden Westen

Wir lachten viel und sammelten, wie auch schon seit Evelyns Besuch bei uns, deutsche Sprichwörter. Dabei viel mir auf, wie selten man noch geflügelte Worte, Sprichwörter und Redewendungen benutzt. Evelyn kennt noch einige von ihrer Mutter. Ihr Lieblingsausspruch ist: Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Evelyn und Joe erzählten Geschichten aus ihrer Vergangenheit, wie Evelyn mit ihrem Pferd als Jugendliche im Treibsand steckenblieb, wie Joe mit seinen Söhnen nach der Elchjagd draußen bei Eiseskälte ohne Zelt oder Jacke übernachten mussten. Wir fühlten uns wie im Wilden Westen, als Pete dann auch noch loshetzte und vielleicht ein wildes Tier verjagte, um sich treu gleich wieder neben mir niederzulassen.

Evelyn ist natürlich keine direkte Cousine von mir. Eigentlich sind wir nicht einmal blutsverwandt. Ihre Mutter war die Schwester der Schwägerin meines Großvaters mütterlicherseits. Alles klar?

Jedenfalls ist ihre Familie vor der Familie meines Großonkels (des Bruders meines Opas) zuerst nach Kanada und später in die USA ausgewandert. Bis sie 7 Jahre alt war, lebte Evelyn mit ihren Eltern und drei Geschwistern in Montreal und sprach Deutsch, Englisch und Französisch. Dann zogen sie nach Kalifornien und nun lebt sie schon etliche Jahre in Idaho. Kein untypischer amerikanischer Lebenslauf.

Und dann war das Wochenende auch schon wieder vorbei. Ich wäre gern geritten, aber der Boden ist noch gefroren und Joe und Evelyn hatten Angst, dass ich mir etwas brechen könnte, falls ich vom Pferd fallen würde. Na ja, der Frühling hat ja laut Waldmurmeltier Phil schon begonnen. Am nächsten Morgen packten wir Karla wieder ein und machten uns auf den Rückweg in unser Stadthaus ohne einen so wunderbaren Holzofen und frische Luft... Dafür aber auch ohne Ziegenkacke. Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile :-)

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