
Heute will ich euch berichten, wie hier Auto gefahren wird. Autofahren hat hier ungefähr den Stellenwert des Zufußgehens in Deutschland. So haben wir beispielsweise unseren Nachbarn Keith bisher nur zu Fuß sein Haus verlassen sehen, wenn er uns die Post von seinem Vorgartenrasen bringt oder er beim Umparken zwischen seinem und dem Auto seiner Frau wechselt. Und dabei haben sie einen Hund, der auch nie im Garten zu sehen ist. Offenbar wird er zum Gassigehen gefahren. Nur unseren anderen Nachbarn Joe sehen wir ab und zu zum Shop'n Go an der Ecke gehen. Aber ich denke, das liegt daran, dass er kein Auto hat. Was selten ist. Laut dem Autor Bill Bryson ist man kurz davor aus der Plastiktüte zu leben, wenn man sich in den USA kein Auto leisten kann. Nicht dass es so billig wäre, nein, sondern weil es als ein Artikel des Grundbedarfs angesehen wird. Lieber spart man beim Essen und anderen Qualitäten. Wie viele Personen über 16 in einem Haushalt leben, lässt sich ganz leicht an der Anzahl der vor dem Haus geparkten Autos ablesen.
Das Auto oder des Amerikaners bester Freund
Die Autos, die hier gefahren werden, sind für ein europäisches Auge häufig, mit einem Wort ausgedrückt, protzig. Und sie haben auch protzige Namen, wie z. B. Dodge Turbo Ram oder Ford F350 Super Duty, und klingen tun sie mitunter wie Hubschrauber. Diese Mehrzweckgeräte haben enorm viel Hubraum. Man sieht viele Pickups, also Autos, die eine offene Ladefläche haben. Der Grund dafür ist vielleicht, dass viele Männer hier auf die Jagd gehen und das Reh ja dann nicht in den Kofferraum passt und diesen nicht verdrecken soll. Thomas' Chef und Freund der Familie, Frank, ist einmal auf dem Weg zur Uni in einen Elch hineingefahren. Zum Glück kam hinter ihm gleich einer mit einem Pickup, der den Elch ohne Fragen zu stellen einsackte. Aber Amerikaner fahren große Autos auch, einfach weil sie es können :-) Benzin ist billig und wenn man mal einen Elch oder ein Haus durch das Land zu fahren hat, dann kommt so ein leistungsstarker Benzinschlucker ganz praktisch. Ein Platzproblem gibt es auch nicht. Die Straßen sind breit und es ist extrem selten, dass man irgendwo nach einem Parkplatz suchen muss. Lediglich mit der Höhe könnte es ein Problem geben, denn manch ein Parkhaus ist auf 6 oder 7 Fuß (1,80 – 2,10 m) beschränkt. Aber das Auto ist auch der Helfer in der Not. Sollte man das Gefühl haben, auf dem Weg zum Auto verfolgt zu werden, verfügt jeder Transponderschlüssel auch über einen Knopf für den sogenannten Panic Alarm. Das Auto fängt dann laut an zu hupen, bis man wieder darauf drückt. Allerding darf man dann dem Kind auch nicht den Autoschlüssel zum Spielen geben, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Karla hat sich vor dem Panic Alarm jedenfalls nicht erschrocken. Aber natürlich schlägt das jeden potenziellen Angreifer in die Flucht. Es geht ja immerhin um das "Gefühl von Sicherheit", nicht wahr? Bis man an die Waffe im Handschuhfach kommt ;-) Am Ende des Artikels findet ihr noch einen Link zum durchaus ernst gemeinten Umgang mit dem Panic Alarm - zum Lachen, aber leider nur auf Englisch.
Die Verkehrsregeln und deren Auslegung im Alltag
In den USA sind die Verkehrsregeln Ländersache. Zieht man von einem Bundesstaat in einen anderen, muss man über lang oder kurz dort einen Führerschein des Bundeslandes erwerben, und zwar in Theorie und Praxis. Daher ist es unvorstellbar, dass ein deutscher oder internationaler Führerschein hier einfach so akzeptiert würde.
Fangen wir beim Handbuch an. Darin findet man unter anderem, wie man fahren sollte, wie man richtig einparkt, wie man sein Punktekonto erleichtert. Das Handbuch ist mitunter in einem witzigen Ton geschrieben und unterhaltsam zu lesen. Zum Beispiel erfährt man daraus, dass es nicht wahrscheinlich ist, einen Zusammenstoß mit einem Zug zu überleben, sollte man sich entschließen an einem Bahnübergang auf den Schienen zu parken oder zu halten.
In Utah darf man ab 16 Jahren den Führerschein machen, wenn man aber auf der elterlichen Farm mithelfen muss, mitunter auch schon mit 14. Das sieht vor allem dann witzig aus, wenn so ein Knirps hinter dem Steuer eines auch für Erwachsene überdimensionierten Pickup-Trucks sitzt. Fährt jemand „nur“ einen Traktor, braucht er gar keinen Führerschein, selbst wenn er damit auf einer normalen Straße fährt. Im Nachbarstaat Wyoming kann man den Führerschein regulär mit 14 machen.
Was am Steuer alles geht
Zwischen dem Inhalt des Handbuchs und der tatsächlichen Fahrweise liegen hier jedoch ein ums andere Mal Welten. Beim Autofahren können Amerikaner so ungefähr alles machen. Da ja die Wenigsten ein Auto mit manueller Schaltung besitzen, ist die rechte Hand auch meistens frei. Wir erinnern uns, dass die eigentlich auch am Lenkrad liegen sollte, so auf 2 Uhr. Bei gefühlt jedem zweiten Fahrer, vor allem Frauen, liegt die jedoch an ihrem Ohr, genauer gesagt, am Mobiltelefon. Das Telefonieren am Steuer (ohne Freisprecheinrichtung) ist hier nicht verboten. Auch das SMS-Schreiben nicht. Aber wahrscheinlich wird zumindest Letzteres bald verboten, denn wenn jemand ungewollt mehrere Spuren wechselt oder den Jogger fast überfährt, weil er doch noch über das Stoppschild und, ups, über den Fußgängerüberweg gefahren ist, ist der Grund meistens eine wichtige SMS, die noch schnell zu Ende geschrieben werden musste.
Neben Telefonieren und Texten können Amerikaner vor allem Eines gut am Steuer: essen und trinken. Nicht umsonst ist dies die Heimstätte des „Drive-Through“. Nicht umsonst spielt die Zahl der Flaschenhalter im Auto eine größere Rolle bei der Kaufentscheidung als die Sparsamkeit. Unser Auto hat z. B. vorn nur 2 nicht allzu praktische Halter, aber dafür auch noch welche bis zur dritten Sitzreihe. Letztens kam mir sogar ein Auto entgegen, das langsam auf meine Spur abzudriften drohte. Beim Näherkommen sah ich, dass sich der Fahrer gerade einen Pullover übergezogen hatte. Außerdem habe ich auch schon einen Fahrer gesehen, der sich am Steuer rasiert hat, zum Glück nur elektrisch. Manch einer wohnt wahrscheinlich mehr in seinem Auto als zuhause.
Der U-Turn oder Wende auf amerikanisch
In den USA darf man ja an jeder Ampel, sofern nicht anders angegeben, sowie auf jeder Straße, die breit genug für den Wendekreis des eigenen Autos und gerade frei ist, eine 180°-Wende vollführen. Das ist der sogenannte „U turn“ im Land der Freiheit. Nun habe ich schon erlebt, dass an einer Linksabbiegerampel vor mir zwei Autos standen, deren Fahrer beide, ohne, dass sie es wussten, ein solches Manöver planten. Die Ampel sprang auf den grünen Pfeil und der zweite Fahrer konnte es wohl nicht abwarten und begann gleich aus seiner Position mit der Wende, während der erste Fahrer genau das Gleiche tat. Mit dem Ergebnis, dass sie sich fast gerammt hätten, weil beide Auto zu allem Überfluss auch einen zu großen Wendekreis für die Straße hatten und sich in Sekundenschnelle einigen mussten, wer wie wo lang fährt - einer politischen Wende nicht ganz unähnlich. Gehupt hat allerdings keiner. Gehupt wird hier eigentlich nur, wenn man an der Ampel nicht schnell genug losfährt. Oder ein Anderer bog von einem Schulhof auf eine per Mittelstreifen getrennte mehrspurige Straße trotz Verbots nach links ab und war damit mal ein paar Hundert Meter als Geisterfahrer unterwegs, nur weil er keinen U-Turn an der nahen Ampel machen, sondern bei der Lücke im Mittelstreifen verkehrswidrig auf die richtige Fahrspur gelangen wollte. Er brauste davon und hatte offensichtlich Spaß am Verbotenen.
Die Schule und der Ernst des Lebens
Wenn es jedoch um ihre Kinder geht, verstehen die Amerikaner keinen Spaß. Nein, wenn die Schule morgens halb 9 anfängt und gegen 3 Uhr nachmittags zu Ende ist (auch in der 1. Klasse), ist Stau. Warum? Zum Einen ist natürlich das Verkehrsaufkommen höher, denn jedes Kind will von Mami per Auto in die Grund- oder Gesamtschule gebracht und wieder abgeholt werden. Schulbusse dürfen sie ja erst nutzen, wenn die Kinder nicht mehr in objektiver Laufweite wohnen. Zum Anderen ist die Geschwindigkeit in der mitunter laaangen Schulzone dann auf 20 Meilen pro Stunde (ca. 30 km/h) beschränkt. Zu allem Überfluss stehen an jeder Kreuzung und jedem Zebrastreifen Freiwillige in Warnwesten mit Stoppschildern, die diese auch zu gebrauchen wissen, sobald doch mal ein Kind zu Fuß daherkommt und die Straße überqueren will (oder irgendjemand anderes, damit sie auch etwas zu tun haben). Außerdem gibt es ja da noch die Schulbusse. Sobald diese anhalten und Schüler aussteigen, wird vom Fahrer zu beiden Seiten des Busses ein Stoppschild herausgeklappt, sodass nicht nur alle Autos hinter dem Bus, sondern auch der Gegenverkehr halten muss, damit die Kinderlein an Ort und Stelle über die Straße gehen können und nicht erst zum nächsten Zebrastreifen laufen müssen. Was vielleicht insofern gerechtfertigt ist, als dass man beim Zebrastreifen nicht anhalten muss. Ich finde das ja reichlich übertrieben, zumal das sich das zeitlich vor- und nachmittags zieht und der Ausnahmezustand nicht mit 30 min abgetan ist. Einerseits unlogisch, andererseits begrüßenswert erscheint daher, dass Kinder ab 16 Jahren mit dem eigenen oder elterlichen Auto selbst zur Highschool fahren dürfen. Die Größe der Parkplätze vor den Schulen wäre in Deutschland vielleicht vor Konzert- oder Messehallen oder vor Fußballstadien denkbar. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass hier einige Schulen auch gleich ein Stadium mit dran haben.
Heute schon einen Schulterblick gemacht?
Ein weiteres Kapitel ist der Schulterblick, der hier nicht besonders beliebt ist. Vor allem beim Herunterfahren vom eigenen Grundstück fahren die meisten nach der Devise: Erstmal schnell auf die Straße! Das mussten Karla und ich vor allem in der ersten Zeit, als wir noch überwiegend Fußgänger waren, feststellen und mehr als einmal schnell ausweichen. Dazu kommt noch, dass man hier eher weniger mit Radfahrern oder gar Fußgängern rechnet. Auch auf dem Freeway, so einer Art Autobahn, auf der man immerhin 65 Meilen/h (100 km/h) fahren darf, viele aber schneller fahren, wechseln manche die Spur ohne Schulterblick oder Blick in den Rückspiegel und sei es auch nur, um festzustellen, wie weit das gerade überholte Auto schon weg ist. Mir ist es einmal passiert, dass ein Fahrer seeeehr dicht vor mir einscherte. Ich war so perplex, das Thomas für mich hupte. Da es hier auch erlaubt ist, von rechts zu überholen, muss man auf dem Freeway besonders aufpassen. Einige Fahrer sind wahre Meister des Lückenspringens und man weiß gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll. Gefährlich wird das beispielsweise, wenn von rechts und links Autos gleichzeitig auf die gleiche Spur wechseln wollen. Das habe ich allerdings zum Glück noch nicht erlebt. Und ich hoffe, das bleibt auch so. Die etwas anderen Regeln hier geben jedoch noch mehr her. Daher wird es beim nächsten Mal "Kurioses aus den Staaten" um einen Vergleich der wichtigsten Verkehrsregeln gehen. Bis dahin Augen auf im Straßenverkehr!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen