Freitag, 17. Mai 2013

Kurioses aus den Staaten: Ich traf den stärksten Bibliothekar der Welt

Kurioses aus den Staaten: Ich traf den stärksten Bibliothekar der Welt

Mittwoch Abend fuhr ich nach dem Abendbrot in die Hauptbibliothek zum Etiketten schlitzen. Es müssen ja alle Medien umetikettiert werden, um sie RFID-lesbar zu machen. Ebene 3 (von 5) der Main Library umfasst allein 88.000. Da in Schichten gearbeitet wird, war das in 3,5 Tagen geschafft: Bei jedem Buch manuell das alte Etikett mit einem Cuttermesser zerschneiden, das Buch unter den Scanner schieben, ein neues Etikett ziehen, programmieren, einkleben, Buch wieder ins Regal stellen. Daran arbeiten meistens zwei Leute: einer schlitzt bzw. „slasht“, der andere etikettiert bzw. „tagt“. Ich löste Debbie ab und wurde Josh zugeteilt. Josh klärte mich sogleich darüber auf, dass er das Tourette Syndrom habe. Das heißt, dass er mitunter seltsame Laute von sich gebe. Das war aber nicht das Erstaunlichste an Josh. Josh ist sehr groß und breit – ein Baum von einem Mann. Man sieht auf den ersten Blick das Fitnessstudio. Wir unterhalten uns ein bisschen. Dabei erfahre ich, dass er seit 35 Jahren studierter Bibliothekar an der Salt Lake City Public Library ist, und wie beiläufig erzählt er, dass er gerade auf Lesereise war. Er hat sein Buch vorgestellt. The World's Strongest Librarian. Das sind sozusagen seine Memoiren. Ich erinnerte mich, schon ein Plakat davon gesehen zu haben. Aber als er erzählte, es gäbe schon ein Hörbuch davon, es würde gerade ins Koreanische übersetzt, und die Filmrechte seien schon verkauft, unterstelle ich ihm, dass er mich jetzt auf den Arm nimmt. Doch offenbar nicht. Gerade war er im „People“ Magazine und in der „New York Times“.

Auf Amazon gibt es ein nettes Video von ihm:

Man kann sich sehr gut mit ihm unterhalten und es stellte sich heraus, dass wir die gleichen (amerikanischen) Autoren kennen und lesen und wahrscheinlich die gleichen Autoren auf der Straße erkennen würden. Er hat einen guten Sinn für Humor. Ich werde wahrscheinlich sein Buch ins Deutsche übersetzen ;-) Kleiner Witz, er hat da leider keinen Einfluss drauf.

Nebenbei ist er auch ein Strongman, wirft also Baumstämme umher und so, und würde gern mal an den Original-Highland Games teilnehmen. Ich meinte, ich könne ja super den schottischen Akzent nachahmen (was 3 Wochen Schottland so alles bewirken) :-) Als an seinem Gerät Etikettenstau war, bot ich ihm an, mal zu tauschen, aber er meinte, mit Messern und heißen Dingen sei er aufgrund seiner Krankheit „nicht so gut“. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Er hatte zwar zwischendurch immer mal „aufgeschrien“, und zuerst hatte ich mich erschrocken, aber irgendwann merkt man es gar nicht mehr so. Er erzählte mir, was man auch in seinem Buch nachlesen kann, dass er bis vor vier Jahren Mormone war. Damals waren seine Ticks so schlimm, dass er ständig schrie. Davon bekam er regelmäßig Hernien (ein Leistenbruch ist z.B. eine Hernie), sodass er nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen konnte, d.h. auch nicht mehr an Gottesdiensten teilnehmen konnte. Er meinte, erst mit diesem räumlichen Abstand konnte er seine Kirche hinterfragen. Das Schreien war so schlimm, dass er sich die Stimmbänder mit Botox lähmen ließ und daraufhin mehrere Jahre nicht sprechen konnte. In der Zeit lernte er auch seine Frau kennen, mit der er einen 5jährigen Sohn hat. Heute kam er mir recht zufrieden vor. Er meinte, wenn er in einer Umgebung ist, in der er sich nicht wohlfühlt, muss er mehr Ticks unterdrücken. Dann sei es umso schlimmer, wenn er dann in einer Umgebung ist, in der er alles rauslassen kann. Das erinnerte mich an Karla. Momentan ist sie nicht wiederzuerkennen, sobald wir aus der Kita raus sind.... Sie zickt mich dann nur noch an und nutzt jeden Anlass zum Schreien und Weinen. Es hat halt jeder seine Ticks – bei dem einen sind sie offensichtlich, bei dem anderen nicht.

Jedenfalls entdeckte er, dass Krafttraining ihm half, seinen Körper besser zu kontrollieren. Das Buch ist quasi seine Erfolgsgeschichte und mehr ist in der Pipeline...

Ich denke, ich werde demnächst sein Buch kaufen und von ihm signieren lassen. Die Zeit verging sehr schnell und ich sann wahrscheinlich noch über alles nach, als ich aus dem Parkhaus falsch auf die vierspurige Straße bog und mich plötzlich mit 4 Spuren Gegenverkehr konfrontiert sah. An der Ausfahrt hatte kein Schild gestanden, dass das Linksabbiegen verbot, und Straßenbeleuchtung ist hier ein Fremdwort. Nun wieder geistesgegenwärtig bog ich schnell auf einen Parkplatz, wendete und fuhr richtig auf die Straße. Gerade nochmal gutgegangen. Der ganze Abend kam mir unwirklich vor. Als ich zuhause ankam, wurde im Radio gerade ein Interview mit dem „gefeierten Autor“ Josh Hanagarne für den nächsten Abend angekündigt...

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